London NW: Roman (German Edition) by Smith Zadie

London NW: Roman (German Edition) by Smith Zadie

Autor:Smith, Zadie [Smith, Zadie]
Die sprache: deu
Format: epub, azw3, mobi
veröffentlicht: 2014-01-08T23:00:00+00:00


Gastgeberin

1. Diese roten Zöpfe

Es hatte ein Ereignis gegeben. Davon zu berichten, erforderte das Plusquamperfekt. Keisha Blake und Leah Hanwell, die Hauptakteurinnen bei dem Ereignis, waren vierjährige Kinder gewesen. Das Freibad – eigentlich nur eine flache Mulde im Park, an der tiefsten Stelle einen halben Meter tief – war voller Kinder, die »überall herumplanschten und verrücktspielten«. Zum Zeitpunkt des Ereignisses gab es noch keinen Bademeister, und es blieb den Eltern überlassen, aufzupassen, so gut es ging. »Oben auf dem Hügel, auf der Heath, da hatten sie natürlich einen Bademeister. Aber nicht bei uns.« Das war ein aufschlussreiches Detail. Keisha – inzwischen zehn und hochinteressiert an den Spannungen zwischen Erwachsenen – versuchte, seine Bedeutung zu ergründen. »Träum nicht. Hoch mit dem Fuß«, sagte ihre Mutter. Sie saßen auf einer Bank im Schuhgeschäft an der Kilburn High Road, und Keisha musste langweilige braune Schuhe mit T-Riemen anprobieren, die nichts von der Freude ausdrückten, die es auf dieser Welt sicherlich auch geben musste, trotz allem. »Ich hatte mit Cheryl zu tun, die sich in einer Ecke aufführte, und den brüllenden Jayden auf dem Arm, und musste noch schauen, wo du bist, irgendwie den Überblick behalten ...« In diese Auslassung fiel das Ereignis: Ein Kind wäre fast ertrunken. Bedeutend war das Ereignis aber aus einem anderen Grund. »Da kamst du plötzlich hoch, mit diesen roten Zöpfen in der Hand. Du hast sie rausgezogen. Du hast als Einzige gemerkt, dass sie in Gefahr ist.« Nach dem Ereignis hatte sich die Mutter des Kindes, eine Irin, unzählige Male bei Marcia Blake bedankt, und das war in sich schon fast wieder ein eigenes Ereignis. »Ich kannte Pauline vom Sehen, hatte aber nie mit ihr geredet. Sie hat mich damals immer ziemlich von oben herab behandelt.« Keisha konnte dem Bericht weder widersprechen noch zustimmen – sie hatte keine Erinnerung daran. Die enthaltenen Vorausdeutungen waren allerdings als verdächtig zu werten. Ihre eigene viel gepriesene Willenskraft und Umsicht, die sich darin so klar erwies, und Cheryl schon damals wild und unzuverlässig. Außerdem konnte es Jayden zum Zeitpunkt des Ereignisses noch gar nicht gegeben haben, weil er fünf Jahre jünger war als Keisha. »Halt jetzt still«, brummte Marcia und schob die Eisenstange nach unten, den Zehen ihrer Tochter entgegen.



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